Und damit wären beim allerletzten Heute-bevor-ich-geschlafen-habe - und am Ende. Wurde auch Zeit!

Ich hoffe auch, selbiges sagt zu.

Es darf auch endlich mal wieder etwas knallen. Einfach weil: Egal. Kommt jetzt auch nicht mehr drauf an.
Sollten noch irgendwelche Fragen ungeklärt geblieben sein, an die ich schon nicht mehr gedacht haben sollte, immer raus damit, dann kann ich die Klärung zur Not noch irgendwo unterbringen. Die üblichen Fehlerkorrekturen natürlich ebenso; die kann ich dann noch übernehmen, bevor ich die PDF fertig mache.
Kapitel 12: Blinde Flucht
Just in dem Moment, als die Tür zum Verlies zugefallen war, hatte der zweitgrößte Feind die Macht übernommen – nämlich die Dunkelheit.
Dies brachte Karl dazu, von seinen einem Bambusstab nicht unähnlichen Armen verstärkt Gebrauch zu machen. Mit der linken Hand tastete er sich dem steinernen Gemäuer entlang, während er Rosalie mit der rechten an der Schulter festhielt.
So schnell es ging, bewegten sie sich vorwärts – was nicht schnell war, da absolut nichts zu sehen, und Rosalies Bewegungsfreiheit weiterhin eingeschränkt war.
Karl seufzte. »Wenn ich wenigstens mein Handy hier hätte«, meinte er, möglichst leise. »Dann hätten wir eine Taschenlampe.«
»Meins hat er mir – freilich – auch abgenommen«, erwiderte Rosalie. »Dazu hatte er ja alle Zeit der Welt.« Sie seufzte ebenfalls. »Konnte ja keiner riechen, er nimmt mich einfach nur im Auto mit, lässt mich hinten einsteigen, weil der Vordersitz mit Zeug voll liegt, und bietet mir was zu trinken an. Nur damit ich erst mal für ’ne Weile die Augen zumache.«
»K.o.-Tropfen also.«
»Ja. Ich wach auf und bin auf einmal in einem der Kellerräume. Und da steht er auch schon mit seinem Helm und seiner albernen Krone. Und ich Vollidiotin vom Dienst frag ihn auch noch, wer er ist.«
»Du wolltest halt nicht wahrhaben, dass das echt dein eigener Kollege ist«, entgegnete Karl besänftigend. »Du hast also keine Ahnung, wo wir sind?«
An der Hand spürte Karl, wie sie die Schultern hob, wohl aus Reflex. »In die Hellseherei hab ich mich noch nicht umfassend eingearbeitet.«
»Mein Fachgebiet ist das jetzt auch nicht gerade. Aber alles spricht dafür, dass wir in der Schlossruine Seligenruh sind. Im Wildfuchsforst, kurz vor Ahrbach.«
»Dann kennst du den Weg nach draußen zufällig auch?«
»Zufällig leider nein«, musste Karl zugeben.
Rosalie schnaufte. »Einmal mit Profis arbeiten …«
»Es gibt hier aber Katakomben«, fuhr Karl fort. »Und einige von ihnen führen sogar nach draußen.«
»Geht’s deiner Brille gut genug, um Licht sehen zu können, falls uns welches entgegenkommt?«
»
Ein Glas funktioniert noch einwandfrei.«
»Sehr gut. Was macht dein Kopf?«
Karl runzelte die Stirn, wohl wissend, dass Rosalie das nicht sehen konnte. »Dem geht’s soweit auch noch ganz gut.«
»Schön. Zählt er mit, wie lange Lars’ Kiste braucht, um wieder hochzufahren?«
»Wir haben Zeit«, antwortete Karl. »Aber keine zwei Minuten mehr. So lange lädt der erst mal sinnlos irgendwelche Updates runter, ehe Lars das Steuermodul wieder bedienen kann. So lange ist er da drin eingesperrt.«
»Du bist ja doch manchmal richtig schlau.«
»Das fällt dir früh auf.«
Soeben griff Karls linke Hand ins Leere. Hier ging es demnach links ab. Er zog an Rosalies Schulter, damit sie ebenfalls abbog.
»Und du bist dir sicher, wir sind hier …«, wollte sie fragen.
Doch dann vernahmen sie aus den Tiefen des Gewölbes einen Freudenschrei.
Wohl den unheimlichsten Freudenschrei, den sie je gehört hatten.
Er hallte scheinbar durch den gesamten Untergrund, durch alle Gänge hindurch.
»Da ist er wieder«, sagte Rosalie. »Wir sollten zusehen, dass wir hier ’nen Sittich machen. Wenn der wieder frei ist, dauert’s nicht lange, ehe wir wieder das Vergnügen mit ihm haben. Und mal so unter uns: Mir reicht’s eigentlich dicke.«
*
Tim, Klößchen und Gaby hielten sich, so gut es ging, an ihren Sitzen fest, als Tamina die enge Kurve der Autobahnausfahrt so scharf nahm, dass man befürchten musste, das Auto kippe jeden Moment um.
Den letzten Kilometer der schmalen Landstraße durch den Wildfuchsforst bemerkten sie kaum. Dann allerdings musste Tamina langsamer fahren, denn die befestigte Straße nahm hier ihr Ende, und ein kaum sichtbarer Waldweg führte den Schlossberg hinauf.
Nur noch Teile der Ruine waren erhalten. Eine dicke Lücke klaffte dort, wo sich einst der Ostflügel befunden hatte, und auch der Westflügel vermittelte nurmehr einen vagen Eindruck davon, wie der Gebäudekomplex in längst vergangenen Zeiten einmal ausgesehen haben musste. Lediglich der Mittelteil wies, zumindest im Kern, noch seine barocke Bauart auf.
Tamina hielt unter einer Kastanie am Rande des Schlosses, wo der Wagen, wie sie hoffte, vorerst von Blicken aus allen Richtungen abgeschirmt war. Gleichzeitig konnte man jedoch links die Böschung hinab schauen und hatte einen Überblick über den Verkehr unten auf der Landstraße.
»Ich sehe niemanden«, vermeldete Klößchen. »Sicher, dass unsere Verfolger keine Produkte deiner Einbildung waren?«
»Da kann man sich natürlich nicht sicher sein«, erwiderte die Kriminalmeisterin. »Aber wer sich nicht vorsieht, hat oft das Nachsehen.«
»Alte Kriminologenweisheit.« Tim nickte. »Schalavsky bringt euch auf dem Revier anscheinend einiges bei.«
In diesem Moment kam von der anderen Seite ein Auto heran.
Zügig stellte Tamina den Motor ab. Sie wollte die Jugendlichen bereits auffordern sich zu ducken – doch dann erkannte sie das Auto wieder.
»Ich glaub’s ja nicht …«, entfuhr es ihr.
Tim musste lachen. »Mich haut’s vom Lokusdeckel!« sagte er. »Das sind ja …«
Schon hielt das Auto direkt neben ihnen an. Fast hätte es die Kastanie touchiert.
Scheiben gingen nach unten. Tim und Gaby reagierten prompt und betätigten auch auf der rechten Seite den Knopf, um die Scheiben herunterzulassen.
»Ah, die Damen und Herren! Auch schon da!« grüßte Sadić.
»Wo kommen Sie denn jetzt her?« erkundigte sich Gaby verdutzt.
»Wir wären schneller hier gewesen«, informierte sie Schalavsky vom Beifahrersitz aus. »Aber unser Rennfahrer hier war leider zu schnell, um die Ausfahrt zu erwischen. Da mussten wir einen kleinen Umweg fahren.«
»Und woher wissen Sie, dass wir hier sind?«
Von der Rückbank meldete sich Maria Ramczek grinsend zu Wort. »Ich konnte ein Signal empfangen, das glasklar von hier kam«, erklärte sie. »Und zwar sehr eindeutig von Karl Vierstein.«
Tamina musste ebenfalls grinsen. »Das trifft sich ja ausgezeichnet«, meinte sie. »Dann müssen wir ihn jetzt ja nur noch finden.«
*
Karl und Rosalie liefen immer tiefer in den Gang hinein. Buchstäblich tiefer – denn es ging mit einem Male leicht abwärts.
Karl stellte dabei zudem fest, dass die Wand stellenweise rauer wurde. Dieser Teil des unterirdischen Systems war demnach schon älter und über möglicherweise einige Jahrhunderte hinweg nicht ausgebessert worden.
Intuitiv wanderte seine linke Hand nach oben, während seine Rechte weiterhin an Rosalies Schulter verweilte.
»Die Decke wird niedriger«, stellte er fest. »Kann sein, dass wir gleich etwas gebückter gehen müssen.«
»Aber raus geht’s hier«, meinte Rosalie. »Oder bilde ich mir den Lichtpunkt da hinten nur ein?«
In einiger Entfernung schien es in der Tat heller zu werden. Doch ob es der Ausgang war, oder nur die Mündung des Ganges in einen anderen, erleuchteten Raum, war noch nicht festzustellen.
»Ich sehe auch was«, bestätigte Karl. »Jedenfalls mit einem Brillenglas.«
Plötzlich vernahmen sie hinter sich lautes Gebrüll.
»Ihr glaubt ja wohl nicht, dass ihr mir entkommt!«
Das war eindeutig Lars. Er musste noch in einem der anderen Gänge sein, denn als sie sich intuitiv umdrehen, blickten sie immer noch in absolute Finsternis.
»Dem Schwarzen Grafen entkommt niemand!
Niemand!« brüllte Lars weiter. »Hört ihr?! Ich weiß, dass ihr mich hört!«
»Jetzt aber ganz schnell raus hier«, beschloss Karl.
»Hoffentlich steht uns nichts mehr im Wege«, meinte Rosalie.
In diesem Moment hörte man einen Knall.
Gleich darauf noch einen.
Es waren Schüsse. Eindeutig.
Karl erschrak heftig. »Der hat ’ne Knarre?!«
»Unsinn. Denk mal wieder rational«, meinte Rosalie. »Das spielt der doch bestimmt nur vom Band ab, oder so. Der bräuchte ja nicht mit dem Messer herumzufuchteln, wenn er uns auch mit ’nem Schießeisen hätte bedrohen können.«
Daraufhin fiel noch ein Schuss. Diesmal traf er eindeutig die Decke im letzten Gang.
»Ich glaube, deine Rationalität liegt diesmal daneben«, meinte Karl.
»Scheiße.« Rosalie beschleunigte ihren Schritt. Karl verlor ihre Schulter dabei. Doch er setzte sich ebenfalls zügiger in Bewegung. »Wir müssen rennen. Egal, wie.«
»Dann lauf. Du bist schneller als ich. Ich find schon irgendeinen Nebengang, wo ich mich verstecken kann.«
Karl dachte, er höre nicht richtig. »Und dich hier unten lassen? Mit diesem Wahnsinnigen? So haben wir nicht gewettet!«
Noch ein Schuss peitschte durch das Gewölbe. Vernehmlich hallte er durch den Gang.
»Euch mache ich fertig!« schrie Lars hinter ihnen. »
Fertig mache ich euch!«
»Jetzt hat er endgültig die Pfanne heiß«, murmelte Rosalie.
Zwei weitere Schüsse fielen – direkt hinter ihnen.
Plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Lärm. Gesteinsbrocken fielen lautstark zu Boden. Stürzte der alte Gang endgültig ein?
»Renn!« schrie Karl jetzt – und rannte.
Rosalie erwiderte nichts, sondern rannte ebenfalls – soweit möglich.
Das Licht vor ihnen kam immer näher. Gleich mussten sie es geschafft haben.
»Ich krieg euch trotzdem!« hörten sie Lars noch brüllen. Es schien nun von überall her zu kommen.
Fast hatten sie den Ausgang erreicht.
Doch dann blieb Karl abrupt stehen. Rosalie hielt ebenfalls an, stolperte fast dabei. Aus dem Freien bemerkten sie einen Schatten.
*
Tim, Gaby und Klößchen hatten sich im Hintergrund aufhalten müssen, und indem er Sadić und Tamina zur Rückendeckung aufgefordert hatte, hatte Schalavsky indirekt dafür gesorgt, dass sie sich auch daran hielten. So waren sie zu fünft draußen stehengeblieben, während er mit Maria Ramczek das Schloss betreten hatte.
Jetzt kamen jedoch beide schon kurze Zeit später mit erhobenen Schultern wieder heraus.
»Es führt nur ein Weg nach unten, wie’s aussieht«, meinte Schalavsky. »Und der ist anscheinend schon vor Jahren eingestürzt.«
Seine Kollegin ergänzte: »Also muss es einen anderen Zugang geben. Vermutlich gibt es unterirdische Gänge. Aber da einen Zugang zu finden, kann Ewigkeiten dauern.«
»Das muss dann wohl die Verstärkung übernehmen.« Sadić nickte.
»Es gibt Verstärkung?« wunderte sich Tim.
Sadić musste grinsen. »Glaubst du, wir rücken an, ohne uns vorher abzusichern? Wir heißen ja nicht TKKG.«
Tim lachte. »Moment! Diesen Vorwurf kann man uns
diesmal ja wohl wirklich nicht machen.«
»Punkt für dich.«
Plötzlich hörten sie einen dumpfen Knall.
Gleich darauf noch einen.
Es schien direkt aus der Erde zu kommen.
Schalavsky hielt seine Dienstwaffe, welche er wieder eingesteckt hatte, erneut bereit. »Das waren Schüsse«, meinte er.
Sadić nickte und hatte seine Waffe ebenfalls sofort wieder im Anschlag. »Muss ’ne ziemlich alte Wumme sein. Aber sie funktioniert.«
Nach den nächsten Schüssen fiel die Verortung bereits leichter. Das war direkt unter ihnen.
»Vielleicht ist der ganze Berg hohl?« mutmaßte Gaby.
Die Beamten liefen los, in die Richtung, aus der die Schüsse zu kommen schienen. Sie waren so flott unterwegs, dass sie kaum bemerkten, dass Tim, Gaby und Klößchen ihnen folgten.
Ein kurzes Stück ging es den Abhang hinunter. Sie mussten aufpassen, denn die Wand war fast senkrecht.
Der Eingang zum Stollen war nicht groß, doch man sah ihn.
Schalavsky schien im Bergsteigen geübt zu sein, denn er war sofort bei der Öffnung.
»Polizei!« rief er. »Keine Bewegung! Das Gelände ist umstellt!«
»Nicht schießen!« kam es zurück. »Wir sind’s nur. Karl Vierstein und Rosalie Euler!«
»Was zum … wo ist Lars Stübler?« fragte Schalavsky direkt.
Karl und Rosalie blinzelten, als sie aus dem Stollen traten; ihre Augen mussten sich erst wieder an das Licht gewöhnen.
»Der Bekloppte?« meinte Rosalie. »Der rennt irgendwo da drin durch die Gänge und ballert herum.«
»Gut. Den kriegen wir. Selbst wenn er durch einen anderen Gang entkommt – Verstärkung ist da.«
Karl meinte: »Gut, dass die Nachricht doch noch angekommen ist. Wobei ich schon einen Moment lang dachte, Lars merkt was.«
»Nicht mal ich hab’s gesehen«, fügte Rosalie hinzu.
Karl grinste. »Und dabei ist sie manchmal sogar ziemlich schlau.«
Kapitel 13: Computergehirn
Das Gartencafé SÜSSRAHM hatte auch sonntags geöffnet. Diesen Umstand sowie das weiterhin sonnige, warme Wetter nutzte Hauptkommissar Glockner am Nachmittag, um Karls Rückkehr am Vortage gebührend zu feiern.
Karl traf als Letzter ein. Dies beunruhigte jedoch niemanden, hatte er den anderen in regelmäßigen Intervallen eine Nachricht mit seinem Standort zukommen lassen, gepaart mit dem Hinweis darauf, dass die Verkehrsbetriebe der Stadt weiterhin mit Baustellen und spontan erkranktem Personal zu kämpfen hatten. Also alles wie immer.
Zum Erstaunen aller Anwesenden hatte sich Rosalie angeschlossen.
Zum noch größeren Erstaunen aller Anwesenden traf auch Hideyoshi Murakami ein.
Vorsorglich hatte Tim bereits zwei Tische aneinander geschoben und Stühle daran platziert, um die Runde zu erweitern.
»Ihr seht aber auch bemerkenswert taufrisch aus«, befand Tim. »Dafür, dass ihr so lange in dem Bunker hocken und flüchten musstet.«
Karl lachte. »Bewegung hält frisch«, meinte er. »Gerade du predigst das doch am laufenden Meter.«
Rosalie nickte. Bildeten Tim, Gaby und Klößchen sich das nur ein, oder leuchteten ihre Augen grüner als beim letzten Mal, als sie sie gesehen hatten? Karl würde diesbezüglich sicherlich später Rede und Antwort stehen müssen.
»Was passiert jetzt eigentlich mit deinem Vater, Rosalie?« erkundigte sich Klößchen zwischen zwei Bissen Schokoladenkuchen.
Rosalie zuckte mit den Schultern. »Wenn er Glück hat, Geldstrafe. Wenn er Pech hat, Bau.« Sie klang überraschend unbekümmert ob dieses Umstandes.
»Zurzeit sitzt Franz Euler in Untersuchungshaft«, ergänzte Gabys Vater. »Vorgeworfen wird ihm schwerer Betrug bei einem potentiellen Schaden in siebenstelliger Höhe.«
»Nur potentiell?« wunderte sich Tim.
Jetzt grinste Murakami. »Ihr müsst gedacht haben, ich sei zu gutgläubig«, meinte er. »Nun, ich kannte Herrn Euler bisher nur flüchtig. Seinen Kompagnon, Roland Habermann, kenne ich allerdings aus meiner Studienzeit in Berlin. Und Roland besaß die Freundlichkeit, mir zur Wachsamkeit zu raten. Leider könne er mit keinem konkreten Verdacht dienen; er war sich jedoch sicher, Euler sei mit Vorsicht zu genießen. Gerade wenn es um viel Geld geht.«
Erneut nickte Rosalie. »Habermann hat schon einige Male den Verdacht geäußert, Papa würde Transaktionen an der Firma vorbei tätigen. Konkrete Hinweise hätte er aber noch keine. Beim ersten Mal dachte ich, er spinnt. Jetzt ist klar, er hatte die ganze Zeit über recht.«
Tim wunderte sich. »Dieses sagenhafte Programm existiert also tatsächlich?«
»Es existiert«, übernahm Rosalie. »Umso mehr war ich geschockt, als sich herausgestellt hat, was Papa da wirklich plant. Nicht dass ich jemals unter Eid hätte aussagen wollen, dass er nicht auch zu solchen Aktionen fähig wäre. Mir war eher unverständlich, warum er das ausgerechnet hierbei nötig zu haben meint. Bei einer voll funktionsfähigen Software, die ihr Geld absolut wert ist.«
»Muss ja ein Wunderwerk sein«, meinte Klößchen. »Ich meine, Virenscanner sind ja an sich nicht teuer.«
Rosalie musste prusten. »
Prophecy, englisch für ›Vorhersage‹, macht schon etwas mehr als nur das. Es registriert jede automatisierte, also durch eine KI, nicht durch einen Menschen gesteuerte Aktivität, defragmentiert den Quellcode dieser Software und errechnet aus diesem die Wahrscheinlichkeit einer schädlichen Aktivität. Sieht es ein Risiko, greift es direkt ein, wird somit zum Aus-Knopf für die Software, den sonst ein Mensch betätigen müsste. Es sucht folglich nicht nach bekannten Mustern von Malware, wie es ein herkömmlicher Virenscanner klassischerweise täte, sondern packt das Problem quasi direkt bei der Wurzel. Eben durch minutiöse, aber nanosekundenschnelle Analyse.«
Klößchen runzelte die Stirn. »Okay. Das würde ich jetzt nicht mal kapieren, wenn ich’s begreifen würde.«
Karl grinste und übersetzte: »Programm rödelt, guckt sich andere Programme an, zerlegt sie in ihre Bestandteile und guckt, ob sie astrein sind. Wenn es meint, passt schon, können sie weitermachen. Aber wenn nicht, ist für die Programme halt Schicht im Schacht.«
Klößchen nickte. »Das leuchtet schon eher ein.«
»Es existiert also und ist sein Geld wert«, fasste Tim zusammen. »Aber Sie, Murakami-
san, sind den Deal eben nicht so leichtfertig eingegangen, wie wir dachten?«
»Richtig«, antwortete Murakami, »und so ist mir kein Schaden entstanden. Ich hab den Überweisungsauftrag verzögert, um ihn zurückziehen zu können, falls sich herausstellt, dass ich über den Tisch gezogen werde. Den Verdacht muss Lars Stübler auch gehabt haben, nachdem er in mein Hotelzimmer eingebrochen ist und auf meinen Datenträgern nicht fündig wurde. So hatte Euler das Nachsehen – wobei es ihm helfen könnte, dass es beim versuchten Betrug geblieben ist.«
»Auch der Versuch ist in Deutschland strafbar«, bemerkte Gaby. »Dein Vater, Rosalie, wird sich warm anziehen dürfen. Entschuldige, wenn ich dir das so direkt sagen muss, aber …«
Rosalie winkte ab. »Er hat Scheiße gebaut, und für die muss er geradestehen.«
»Und was passiert mit Lars Stübler?« wollte Klößchen wissen.
Gabys Vater antwortete: »Nun, keines seiner Vergehen ist ein Kavaliersdelikt. Es ist aber davon auszugehen, dass er den Großteil der zu erwartenden Strafe in einer psychiatrischen Einrichtung verbringen wird. Sein diesbezügliches Gutachten dürfte geradezu vernichtend ausfallen. Entführung in zwei Fällen, Erpressung in über einem Dutzend … vergessen wir auch nicht seine Aktion, Handys und Bankkonten anzuzapfen. Und letztendlich auch noch illegaler Erwerb und Gebrauch einer Schusswaffe.«
»Damit hat er uns am meisten irritiert«, meinte Karl. »Die ganze Zeit über hatte er ein Messer in der Hand. Dass er auch einen Revolver besitzt, haben wir viel zu spät festgestellt. Wahrscheinlich wollte er einfach ein Ass im Ärmel haben.«
»Weiß der Henker, was in seinem Schädel so vor sich geht«, warf Rosalie ein. »Aber das soll nicht mehr unser Problem sein.«
»Und alle anderen habt ihr ja mit Bravour gelöst«, meinte Gaby. »Irgendwie hatte ich es schon im Gefühl, dass ihr auch schlau genug wärt, um euch selbst zu befreien. Aber wir lassen bei so etwas nicht locker – egal, um wen es geht. Und erst recht nicht, wenn einer von uns betroffen ist.«
»Davon hab ich gehört«, erwiderte Rosalie. »Die TKKG-Bande macht viel, aber vor allem keine halben Sachen. Dummerweise wusste Lars das auch … ihr solltet darauf achten, nicht zu oft in der Presse zu landen.«
»Es hat aber gedauert, bis wir klar gesehen haben«, meinte Tim. »Und um das auch gleich vom Tisch zu haben, Rosalie – wir haben bei der ganzen Aktion sogar …«, er unterbrach sich kurz, um die richtigen Worte zu finden, »… nun ja, nicht direkt vermutet, aber durchaus die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass du in der Sache mit drin hängst. Es hätte ja theoretisch sein können, Lars hätte dich als Lockvogel eingesetzt. Ich hoffe, du kannst uns das nachsehen.«
Rosalie lächelte. »Alles gut. Ihr
musstet das in Betracht ziehen. Soll ja keiner denken, ihr arbeitet unsauber.«
Tim schnaufte. »So gut hat es noch niemand weggesteckt, von uns verdächtigt zu werden.«
»Mir wurde ja so einiges zugetragen, was ihr so angestellt habt.« Sie warf Karl unauffällig einen Blick zu. »Ich war jedenfalls nicht auf Lars’ Fähigkeiten als Hacker angewiesen, um zu erfahren, dass Gaby auch Pfote genannt wird.«
»Dabei wissen wir selbst gar nicht so genau, warum«, sagte Klößchen todernst.
Tim, Karl und Gaby starrten ihn für einen Moment an wie einen Außerirdischen. Durch Klößchens Grinsen, als ob er den Gag der Jahrhunderts rausgehauen hätte, gewannen sie jedoch immerhin ihren Glauben zurück.
Gaby schüttelte den Kopf und wandte sich wieder an Rosalie: »Was hast du jetzt eigentlich vor? Jetzt, wo du nicht mehr als ›Junior CEO‹ die Runde machen kannst?«
Rosalie schnaufte. »An meinen Plänen ändert das nichts. Ich bin mit dem Praktikum in ein paar Wochen durch. Habermann segnet mir das schon ab. Meine Stelle danach hab ich praktisch sicher. Wird eine größere Firma sein, mit Aufstiegschancen jenseits von ›Prinzessin von der Chefetage‹. Das wollte ich von Anfang an so, und jetzt hab ich noch einen guten Grund mehr für den Wechsel.«
»Von Anfang an?« wiederholte Tim. »Wusste Lars davon?«
Rosalie hob die Schultern. »Ginge ihn das etwas an? Wobei – vielleicht wäre er dann nicht auf den Trichter gekommen, ich könnte hochbrisante Interna kennen, wenn er gewusst hätte, dass ich nicht auf Dauer bleibe.«
»Und wo wäre das dann?« erkundigte sich Karl wie beiläufig.
»Es gibt hier in der Stadt eine Zweigstelle. Aber eigentlich würde mich die Zentrale mehr reizen – wenn meine Bewerbung das hergibt, heißt’s. Die wäre dann aber in Wiesbaden.«
Tim, Klößchen und Gaby versuchten wegzuschauen, doch ihnen konnte schlicht nicht entgehen, dass Karl der Gedanke, Rosalie könne womöglich schon in Bälde in eine andere Stadt ziehen, missfiel. Und dann auch noch so weit weg …
Karl überspielte dies, indem er einen Schluck Kaffee nahm und dann nickte. »Dann sei dir mal das Beste gewünscht!« sagte er – in der Hoffnung, man höre, dass er das ehrlich meinte.
»Aber erst einmal«, begann nun Gabys Vater, der eine Weile lang geschwiegen hatte, »ruhen wir uns alle mal ein wenig aus. Insbesondere ihr, Karl, Rosalie. Immerhin gibt’s auch noch ein Protokoll anzufertigen. Das können wir leider auch noch nicht der KI überlassen.«
»Ein Programm zu schreiben, das aus diesen Informationen ein komplettes Protokoll fertigt, wäre mittlerweile wohl gar nicht mehr so schwierig«, erwiderte Rosalie. »Da stünde aber halt die Frage im Raum, ob man das im Zweifelsfall als verwertbar durchgehen lassen will.«
»Ist denn die gängige Meinung inzwischen, man sollte es darauf ankommen lassen?« wollte Tim wissen.
»Umstritten ist das sicherlich«, übernahm Karl die Antwort. »Man darf nicht vergessen – auch wenn Lars nicht die edlen Motive hatte, die er mir vorgaukeln wollte, so hatte er immerhin den Punkt, dass ohne Künstliche Intelligenz unser heutiges Leben inzwischen unvorstellbar wäre. Wobei ich zur Definition des Begriffs jetzt natürlich relativ weit ausholen könnte – vergessen wir nicht, dass automatisierte Systeme nie ganz ohne funktionieren werden. Sicher, wenn sie juristisch oder ethisch bedenklich eingesetzt wird, und davon sprechen wir ja, wenn wir uns auf Bots wie Datenkraken beziehen, kann sie immensen Schaden verursachen. Doch jede Medaille hat immer zwei Seiten, und noch obliegt es der menschlichen Intelligenz, in jedem Einzelfall Chancen und Risiken abzuwägen.«
Klößchen erhob seine Tasse Kakao. »Und wenn alles versagt, haben wir ja noch Menschen mit Computergehirn.«
– ENDE –